Evin Rosetta Stone

Hallo mein lieber Nima.

Es ist so schwer, Dir zu schreiben. Du bist noch so unschuldig, wie soll ich Dir da sagen können, von wo ich diesen Brief schreibe. Wie soll ich Dir das erklären, wo Du doch noch nichts weisst von Gefängnissen, Haftstrafe, Gerichtsurteilen, Prozessen, Ungerechtigkeit, Zensur, Unterdrückung - oder Freiheit, Gerechtigkeit, und Gleichheit ? Wie kann ich Dir davon schreiben, wenn Du in Deiner ganzen Unschuld davon noch nie gehört hast ?  Wie kann ich darüber reden wie zu einem Kind, und nicht so als wärest Du schon erwachsenen ?  Wie soll ich Dir erklären, dass ich jetzt nicht einfach nach Hause kommen kann, sonst wäre ich schon längst zu Dir geflogen. Du hast Vater gesagt, dass ich endlich mit der Arbeit aufhören und nach Hause kommen soll.  Wie aber kann ich Dir erklären, dass keine Arbeit in der Welt mich aufhalten könnte, zu Dir zurück zu kommen. Keinerlei Arbeit hätte das Recht, mich Dir wegzunehmen. Keine Arbeit wäre so wichtig, mich die natürlichen Rechte meiner Kinder vergessen zu lassen. Keine Arbeit würde mich jemals dazu bringen, meine Kinder während sechs Monaten nur eine einzige Stunde zu sehen.
Was kann ich zu meiner Entschuldigung sagen, mein Kleiner ? Als Du mich letzte Woche fragtes, wann ich endlich nach Hause komme, musste ich unter den Augen und Ohren der Wachmannschaft sagen "Meine Arbeit dauert noch etwas länger, Ich komme später." Du hast darauf so verständnisvoll mit dem Kopf geniggt und meine Hände mit Deinen zarten Lippen berührt.

Mein lieber Nima, während der letzten sechs Monate habe ich zweimal sehr geweint. Das erste mal war, als meine Vater gestorben war und ich nicht zu seiner Beerdigung durfte. das zweite mal war, als Du mich hier besucht hattest und wolltest, dass ich mit nach Hause komme, was nicht möglich war, denn ich wurde zurück in die Gefängnis-Zelle geführt.

Lieber Nima, bei Gerichtsverhandlungen in Familien-Steitigkeiten wird durch den Richter oft untersagt, dass ein von der Mutter und dem Kind getrennt lebender Vater das Kind auch nur für einen einzigen Tag bekommen darf, wenn es jünger als 3 Jahre alt ist. Die Idee ist, dass die Trennung von der Mutter selbst für kurze Zeit einem so kleinen Kind zu starken seelischen Schmerz zufügt. In meinem Falle findet das Gericht es allerdings zumutbar, dass das Kind einer Mutter, die gegen die nationale Sicherheit gehandelt hat,
keinerlei psychologischen Schutz geniesst.

Ich versuche hier nicht zu beweisen, dass ich die nationale Sicherheit nicht gefährdet haben könnte oder so etwas geplant hätte. Ich wehre mich nur gegen die ungerechten Anschuldigungen und Urteile gegen meine Mandanten, so wie es die Aufgabe jedes Anwaltes ist.

Ich versuche auch nicht nachzuweisen, dass meine Verurteilung zu 11 Jahren Gefängnis nur deshalb zustande kam, weil ich ein auf gefälschten Beweisen basierendes Unrechtsurteil angeprangert habe, so wie es jeder anständige und aufrechte Anwalt tun sollte. Nein, ich muss das nicht beweisen. Alle meine Aussagen stehen in den Prozess-Akten und sie belegen dass ich nichts falsches getan habe.
Trotzdem, ich wollte dir unbedingt erklären, dass ich nicht der erste Mensch bin, dem so eine ungerechte Verurteilung widerfährt. Und ich werde wahrscheinlich auch nicht der letzte dieser Fälle sein, leider.

Ich bin aber auch froh, hier eingesperrt zu sein zusammen mit den Menschen, die ich erfolglos versucht habe zu verteidigen, weil Gründe ausser den im Gerichtssaal genannten mächtiger waren. Das versschafft mir etwas Ruhe und Zuversicht.

Als Frau ist es eine grosse ehre für mich, soviele Bürgerrechtler und Kritiker der (gefälschten) Parlamentswahl verteidigt zu haben. Ich bin sogar stolz, die Last so einer ungerechten, langen Haftstrafe zu tragen. Es ist eine Art der Anerkennung meiner Arbeit, dass man mich schwerer bestraft hat als meine Klienten.

Jetzt habe ich gezeigt, dass der mutige Kampf einer Frau weder von den Herrschenden noch von der Opposition ignoriert werden kann.

Doch es gibt einen Punkt, den ich Dich fragen muss, auch wenn es mir schwer fällt, ihn auszudrücken: Ich bitte Dich, für meinen Richter, für die Vernehmungsbeamten, und für das ganze Rechtssystem zu beten. Bete dafür, dass Gerechtigkeit in ihren Herzen und Köpfen herrscht, und dass Gerechtigkeit ihren Seelen Friede gibt. Dann können wir vielleicht, wie so viele andere Länder auch, in Frieden miteinander leben.

Mein liber, ob solche Fälle wie der meine am ende gewonnen oder verloren werden hat nur wenig mit der Fähigkeit der Verteidigung zu tun, auch wenn in meinem Fälle meine Anwälte ihr Bestes taten. Das einzige, was Erfolg bringen kann ist die Unschuld und die Verletzlichkeit der Person, die in die Mühlen all der absurden Anschuldigungen hier in diesem Land gekommen ist. Nur diese Unschuld kann einen in so einem Falle nich triumphieren lassen. Deshalb bitte ich dich mit Deiner kindischen Unbekümmertheit für alle unschuldig Verurteilten, nicht nur die politischen Häftlinge zu beten.

Ich hoffe, dass bald bessere Zeiten kommen werden.

Mammi Nasrin

March 2011

(translation by Radius)